Es ist absurd, Arafat zuzuschauen
Die deutsche Friedensaktivistin Sophia Deeg
aus München über ihren Aufenthalt in der Residenz des
Palästinenser-Präsidenten in Ramallah
Zusammen mit einer Gruppe von 42 Friedensaktivisten
und palästinensischen Ärzten sind am Sonntag auch Sophia Deeg, 50, und
ihre Tochter Julia, 21, mit hoch erhobenen Händen und weißen Fahnen an
israelischen Panzern vorbei in das Hauptquartier von Jassir Arafat in
Ramallah gezogen. Während zehn Aktivisten das Gebäude bereits am Sonntag
wieder verließen, harren die Deegs die einzigen Deutschen in der Gruppe
aus Franzosen, Italienern, Briten und einem Israeli weiter in der
Residenz des Palästinenser-Präsidenten aus. Sophia Deeg kommt aus München
und lehrt dort am Studienkolleg.
SZ: Haben Sie Angst?
Sophia Deeg: Ja, sehr. Gestern haben wir Schüsse und Explosionen gehört.
Jetzt ist es gerade mal ruhig.
SZ: Wo befinden Sie sich gerade?
Deeg: Im ersten Stock des Hauptquartiers. Wir essen Brot, trinken Tee,
aber das Trinkwasser wird langsam knapp und waschen können wir uns
überhaupt nicht.
SZ: Elektrizität soll es auch keine mehr geben. Wie laden Sie Ihr Handy
auf?
Deeg: Ab und zu gibt es jetzt wieder Strom, aber wir machen immer das
Licht aus, damit wir nicht zum Ziel der israelischen Armee werden.
SZ: Sind Sie Arafat bereits begegnet? Deeg: Ja, am Sonntagabend. Er
befindet sich im zweiten Stock. Wir haben ein spärliches Abendmahl aus
trockenem Brot, Olivenöl und Humus bei Kerzenlicht zu uns genommen, er hat
uns alle freudig begrüßt.
SZ: Wie ist Ihr Eindruck von Arafat? Deeg: Er saß am Tisch wie ein alter,
hilfloser Mann und hat uns greisenhafte Anekdoten erzählt aus seiner
Vergangenheit, wie er etwa in der ägyptischen Armee gekämpft hat. Er hat
uns auch erzählt, dass Israel es ihm zu verdanken habe, dass es von
manchen arabischen Staaten anerkannt wird.
SZ: In Israel sagt man, Arafat sei entschlossen, nicht aufzugeben.
Deeg: Ich beobachte Arafat hier mit eigenen Augen, und auf mich macht er
einen schwachen und hilflosen Eindruck. Es ist geradezu absurd, ihm
zuzuschauen.
SZ: Im Fernsehen sieht man, dass Arafat sich mit schwer bewaffneten
Kämpfern umgibt. Zudem heißt es, er schare die Mörder des israelischen
Tourismusministers um sich.
Deeg: Ich kann Ihnen nur sagen, was ich hier sehe, und das sind vor allem
unbedarfte Bauern-Jungs ohne Waffen, die sich hier aufhalten. Ich sehe
keine Anführer radikaler Gruppen oder ein Großaufgebot an bewaffneten
palästinensischen Soldaten.
SZ: Weshalb sind Sie mit Ihrer Tochter in Arafats Hauptquartier gegangen?
Deeg: Wir wollen uns solidarisieren mit dem palästinensischen Volk und die
Welt auf die Belagerung aufmerksam machen. Wir haben furchtbare Szenen im
menschenleeren Ramallah erlebt, wie Verwundete in Krankenhäusern von
israelischen Soldaten festgenommen wurden, wie israelische Soldaten von
Haus zu Haus gingen und ganze Familien in Schrecken versetzen. ..
SZ: ...die israelische Armee tut eigenen Angaben zufolge das, was Arafat
bisher unterlassen hat: mutmaßliche Terroristen festzunehmen...
Deeg: ...ich sage ja auch nicht, dass Arafat ein Unschuldslamm ist, im
Gegenteil. Er ist zu einem großen Teil verantwortlich für die Situation,
er ist ein Teil des Problems. Ich kann nicht sagen, dass ich Arafat und
seine Politik unterstütze. Uns geht es auch darum, auf die menschliche
Katastrophe aufmerksam zu machen, Medikamente zu bringen und
sicherzustellen, dass die Soldaten nicht in Krankenhäuser eindringen.
SZ: Weshalb setzen Sie sich nicht auch für die israelischen Opfer
palästinensischer Selbstmordattentate ein?
Deeg: Die Anschläge sind grässlich, ich verurteile sie aufs Schärfste.
Allerdings glaube ich, dass über diese Opfer mehr berichtet wird als über
die Lage der palästinensischen Zivilbevölkerung.
Interview: Thorsten Schmitz
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