Israel - eine Internet-Nation
Israel ist ein kleines Land
mit großen Unterschieden. Während altehrwürdige Rabbiner aus dem
religiös geprägten Jerusalemer Stadtteil Mea Sharim vor der Klagemauer
beten, entwickeln zukunftsorientierte Internet-Experten vor den Toren
Jerusalems neue Technologien.
So unterschiedlich die Bilder im
gegenwärtigen Israel sein mögen - sie sind kein Gegensatz. Der
israelische Internet-Boom und die Geschichte des Judentums sind zwei
Seiten derselben Medaille. Die Juden wurden während einer Jahrtausende
währenden Diaspora über die gesamte Welt zerstreut. Ihre Nachkommen
leben heute mit diesem historisch gewachsenen Bewusstsein. Man weiß
sehr wohl, was es bedeutet, räumlich voneinander getrennt zu leben. Mit
diesem tief verwurzelten Gefühl der Verbundenheit ist das Medium
Internet geradezu ein Geschenk des Himmels für das Volk Gottes.
Kein Wunder also, dass Israels Internetgemeinde mit Firmen wie ICQ,
Vocatel, Orckit [1] und
Babylon gerade diejenigen Produkte hervorgebracht hat, die das Internet
zum optimalen Medium für Kommunikation machen. 1996 entdeckten die ICQ
[2]-Gründer Yair Goldfinger, Arik Vardi, Sefi
Vigiser und Amnon Amir eine Kommunikationslücke im Internet. Bislang
war man nur über die Web Server interaktiv miteinander verbunden.
Millionen von Menschen wussten nicht, ob Freunde gerade online waren. Es
fehlte die Technologie, die Usern erlaubte, sich untereinander im Netz
ausfindig zu machen. Dafür wurde die Software ICQ (»I seek you« - Ich
suche Dich) entwickelt. Das interpersonelle Chat-Programm kann mit
seiner skalierbaren Architektur mehrere 100.000 Online-Nutzer
gleichzeitig betreuen. Ähnlich kommunikationsfreundlich ist die
Technologie, die das Unternehmen VocalTec hervorgebracht hat. VocalTec
gilt als Begründer der Stimmübertragungen im Internet und ist mit
seinen technologischen Innovationen führend im Bereich Internet
Telephony.
Ein weiteres Resultat der Diaspora ist die vielsprachige Herkunft der
Israelis. »Hebräisch ist die einzige Muttersprache der Welt, die die
Eltern von ihren Kindern lernen«, beschreibt Autor Ephraim Kishon die
Sprachensituation der Einwanderer. Neben dem Hebräischen sind Jiddisch
und Ladino die Sprachen der beiden größten Einwanderergruppen.
Babylonisches Sprachengewirr in Israel? Babylonisches Sprachengewirr im
Internet? Mitnichten: 1995 entwickelte Amnon Ovadia das Online-Übersetzungsprogramm
Babylon[3], um eine
multikulturelle Kommunikation im Internet zu ermöglichen. Das Programm
schließt auch eine weitere Kommunikationslücke im Internet. Einerseits
sind rund 80% aller Internet-Inhalte auf Englisch. Andererseits stammen
rund 70% aller weltweiten PC-Nutzer nicht aus dem englischsprachigen
Raum. Für diese Lücke wurde das Online-Übersetzungsprogramm Babylon
geschrieben, das Übersetzungen ausführt, während der User online ist
- und zwar in elf Weltsprachen: Chinesisch, Deutsch, Englisch, Französisch,
Hebräisch, Holländisch, Italienisch, Japanisch, Portugiesisch,
Spanisch und Schwedisch.
Ein weiterer Hintergrund der israelischen Internet-Erfolge ist die militärische
Situation des Landes, die ein großes Know-how in Sicherheitstechnologie
erforderlich macht. So werden beispielsweise Kenntnisse in Verschlüsselungsverfahren
auch im Internet-Sektor umgesetzt. Das 1993 gegründete Unternehmen Check
Point Software [4] Technologies ist Weltmarktführer
für Sicherheitslösungen im Internet mit Produkten wie FireWall-1,
Provider-1 und VPN-1 (Virtual Private Networking). Ein anderes
erfolgreiches Unternehmen ist Aladdin Knowledge
Systems [5], das
speziell für den B2B-Sektor digitale Sicherheitslösungen entwickelt
hat, wie zum Beispiel das Zahlungsmittel eToken oder die
Transaktionsplattform Privilege.
Eine wichtige Quelle des technologischen Niveaus ist sicherlich auch der
hohe Ausbildungsstandard der Universitäten. Die Universität Beer Sheva,
das Technologie-Institut Technion und das Weizmann Forschungszentrum in
Rehovot genießen internationales Ansehen. Das Know-how wird durch den
Zustrom russischer Immigranten jedes Jahr aufgestockt. Zwar stellte der
große Zustrom das kleine Land vor große wirtschaftliche
Schwierigkeiten. Doch nach einer Anlaufphase erweißt sich das
technologische Potential der Einwanderer als ein Segen für Israels
Computerindustrie.
Der israelische Internet-Boom basiert also auf vier Pfeilern: die
Bestrebungen, die Kommunikationslücken der Diaspora online zu überwinden,
die Sicherheitsprobleme militärisch zu meistern, ein hohes universitäres
Ausbildungsniveau und akademisch gebildete Immigranten. Mit diesem
Pfeiler ist Israels Zukunft gesichert und kein Rabbiner muss vor einer
Firewall darüber klagen.
[1]ICQ
[2]Orcit
Communications
[3]Babylon
[4]Check
Point Software Technologies
[5]Aladdin
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