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Stille Nacht:
Die Stadt
Bethlehem verzichtet auf große Weihnachtsfeiern
Wie schon im
vergangenen Jahr muss Palästinenserpräsident Jassir Arafat auch am
morgigen Weihnachtsabend auf einen großen Auftritt verzichten. Arafat,
der faktisch seit zwölf Monaten in Ramallah im Westjordanland unter
Hausarrest steht, ist von Israel erneut die Teilnahme an der Christmette
in Bethlehem untersagt worden. Traditionell feiern Christen aus aller
Welt sowie ein Großteil der palästinensischen Christen der Geburtsstadt
Jesu Weihnachten mit einer glanzvollen Liturgie, die von Millionen
Christen im Fernsehen verfolgt wird.
Obwohl Arafat im vergangenen Jahr nicht nach Bethlehem pilgern durfte,
wurde damals in der Geburtskirche gefeiert. Lediglich der Stuhl neben
der vom Christentum zum Islam konvertierten Frau Arafats, Suha, die aus
ihrem komfortablen Pariser Exil mit ihrer Tochter angereist war, blieb
leer. Der Stuhl war demonstrativ mit einem schwarzweißen
Palästinensertuch drapiert worden. Damals hatten die Israelis Arafat
vorgeworfen, dass er selbst drei Monate nach dem Attentat auf den
israelischen Tourismus-Minister Rechawam Seewi die Mörder noch immer
nicht hatte festnehmen lassen.
In diesem Jahr hat der christliche Bürgermeister Bethlehems, Hanna
Nasser, aus Protest gegen die Belagerung der Stadt durch israelische
Truppen alle Weihnachtsfeiern abgesagt. Selbst die Christmette am
morgigen Dienstag soll nur im kleinen Rahmen abgehalten werden.
Weihnachten werde dieses Jahr traurig, sehr traurig ausfallen,
erklärte Nasser. Der von Panzern und Soldaten besetzte Manger-Platz vor
der Kirche werde noch den letzten mutigen Touristen abschrecken. Israels
Verteidigungsminister Schaul Mofas sicherte dennoch zu, die Präsenz
seiner Armee werde an Weihnachten auf ein Minimum beschränkt, doch das
verarmende Bethlehem, das auf zahlungskräftige Pilger gehofft hatte, ist
die Lust am Weihnachtsfest vergangen.
Bürgermeister Nasser wirft Israel vor, seine südlich von Jerusalem
gelegene Stadt im Würgegriff zu halten. Israel dagegen argumentiert,
die palästinensischen Sicherheitskräfte hätten seit dem letzten Rückzug
israelischer Truppen im Sommer nicht dafür gesorgt, dass Anschläge
verhindert und Selbstmordattentäter festgenommen würden. Der jüngste
verheerende Selbstmordanschlag in Jerusalem, bei dem zwölf Israelis
getötet worden sind, wurde von einem Palästinenser aus Bethlehem verübt.
Seitdem hält die israelische Armee Bethlehem besetzt, durchsucht Häuser,
nimmt mutmaßliche Terroristen fest.
Die Entscheidung, Arafat am Weihnachtsabend die Show zu stehlen, ist in
Israel nicht unumstritten. Selbst Politiker aus dem rechten Lager
argumentieren, nun könne sich Arafat erst recht als Opfer gerieren. Auch
die Interventionen der Europäischen Union und des Vatikan werden als
peinlich empfunden, doch Regierungschef Ariel Scharon bleibt hart. An
Weihnachten werde für Frieden gebetet, heißt es aus Scharons Büro, und
Arafat ist nun wahrlich kein Mann des Friedens.
Arafats Berater erklärten am Wochenende, notfalls werde der Präsident
zu Fuß nach Bethlehem gehen. Andere Möglichkeiten bleiben ihm auch
nicht: Seine gesamte Hubschrauberflotte ist von der israelischen
Luftwaffe zerstört worden, und im Auto käme Arafat an Israels
Kontrollposten auch nicht vorbei.
Thorsten Schmitz
sz - 23. Dezember 2002
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