Die Jekkes und ihr Naharijah:
Damit hier mal Ordnung reinkommt
"Obwohl ich dieser ethnischen Gruppe nicht angehöre", schreibt Ayelet
Negev in Jedioth, "habe ich die Jekkes ins Herz geschlossen". Der Fleiß,
die Hingabe, die Naivität, die gewisse Wirklichkeitsfremde, oder wie es
Dr. Fritz Wolf aus Nahariya, der seit 66 Jahren in Israel lebt,
ausdrückt: Ich komme schon irgendwie mit dem Hebräischen zurecht, aber
in den Tiefen meiner Seele bin ich in vieler Hinsicht ein Deutscher
geblieben. Eigentlich bin ich weder ein Deutscher, noch ein Hebräer, das
ist meine Tragödie, außerdem ist es nicht vergnüglich 94 Jahre alt zu
sein, auch wenn ich - in gewissem Sinne - froh bin, schon 94 Jahre alt
zu sein, denn so muss ich wenigstens nicht mit ansehen, was noch alles
auf uns zukommt.
Dr. Fritz Wolf hat einmal Jura studiert, diesen Beruf jedoch keinen
einzigen Tag praktiziert. Das schwere Leben in Israel zwang ihn, wie
auch viele andere Jekkes, dazu, in der Landwirtschaft zu arbeiten. In
den Tagen, als Ärzte und Anwälte hier keine Arbeit hatten, bauten sie
Straßen und reichten sich schwere Eimer mit Steinen zu, begleitet von
den höflichen Worten: Bitteschön, Herr Doktor, Dankeschön, Herr
Doktor, wie es in einem berühmten Witz heißt.
Die Frustration und die Verzweiflung über das harte Leben brachte Dr.
Wolf durch Musik zum Ausdruck. Die war schon immer sein Hobby, und seine
Musicals wurden von den Bürgern Nahariyas in den 30-er und 40-er Jahren
auf improvisierten Bühnen aufgeführt. Wir waren ungefähr 100 Familien,
darunter mindestens 50 Pianisten, aber wer hatte schon Kraft zum
Musizieren? Meine Musicals sollten etwas Trost spenden, sagt Wolf.
Teile seiner Musicals wurden in den letzten Jahren von deutschen
Jugendlichen im Gymnasium von Bielefeld, der Partnerstadt Nahariyas,
aufgeführt, und die Geschichte wird in David Witzthums Film Nahariyada
erzählt. Im Rahmen einer dreitägigen Veranstaltung, die die
deutsch-israelische Freundschaft zum Ausdruck bringen soll, lief der
Film vergangene Woche auf der Rathausterrasse in Tel Aviv. Wie Dr. Wolf,
der Held des Films, sind auch alle anderen Teilnehmer Jekkes der ersten,
zweiten oder dritten Generation: Steff Wertheimer, Ruth Ofeck, Andreas
Meyer, Uri Avnery und Nurith Carmel. Wer die Tel Aviver Vorführung
verpasst hat, kann den Film auch im Museum für deutschsprachiges
Judentum in Teffen ansehen.
Als Initiative der Deutschen Botschaft in Israel und unter
Schirmherrschaft der Stadtverwaltung Tel Aviv finden noch weitere
Veranstaltung statt, mit der die Freundschaft zwischen Deutschland und
Israel betont werden soll. Die Rahmenveranstaltung nennt sich Isragerma,
und sie findet auf der Rathausterrasse statt. Es werden Gespräche,
Konzerte mit Ensembles aus Deutschland und Beer Sheva und Verlosungen
stattfinden. 20 deutsche Firmen werden bei der Isragerma ihre Produkte
ausstellen.Open Museum verbindet Industrie,
Kunst und Natur:
Ausstellung zum Einfluss der "Jekkes"
Stef Wertheimer und die dritte Phase des Zionismus
"Trialog der Kulturen im Zeitalter der
Globalisierung"
Stef Wertheimer:
Industrieparks als Werkzeug für Frieden und Entwicklung im neuen
Mittelmeerraum
Was macht den Frieden aus?
Wir hören sehr viel zum Thema Frieden und über den
Friedensprozeß. Es ist normal, Frieden als abstraktes politisches
Konzept zu betrachten, aber wie ist er in die Praxis umzusetzen? Frieden
heißt, gemeinsame Interessen zu schaffen, Mißgunst und Neid abzubauen
und wirtschaftlichen Erfolg zu fördern.
Vereinfacht könnte die Formel lauten: Gemeinsame
Interessen plus Wirtschaftserfolg minus Mißgunst und Feindseligkeit
gleich Frieden.
Die Alternative zum Frieden bedeutet
Glaubenskonflikte, politische Auseinandersetzungen und Konflikte vor dem
Hintergrund wirtschaftlicher Interessen. Wenn es keine gemeinsamen
Interessen und kein Wirtschaftswachstum gibt, dann versuchen die
jeweiligen Parteien zu demonstrieren, wer mehr Macht hat.
Der Abbau von Mißgunst und Feindseligkeit ist ein Problem vor allem für
Politiker und Erzieher. Auch der Wohlstand spielt hierbei eine Rolle:
Mit vollem Magen hat man weniger das Bedürfnis, dem Nachbarn auf den
Teller zu schauen.
Ich möchte mich jedoch auf die beiden anderen Elemente konzentrieren -
nämlich die Schaffung von gemeinsamen Interessen und das
Wirtschaftswachstum als Instrumente zur Verbesserung der
Friedenschancen.
Wenn der Lebensstandard unserer Nachbarn verbessert werden kann, wird
sich das Konfliktpotential reduzieren. Eine Möglichkeit dazu ist die
Ankurbelung der Produktion von Waren für den Export. Sobald die Menschen
mit einer neuen gewinnbringenden Tätigkeit beschäftigt sind, haben sie
weniger Zeit und auch weniger Interesse, historisch bedingte Konflikte
weiterzuführen.
So gesehen wird die Produktionstätigkeit zum neuen
"Konflikt", aber statt mit den Nachbarn zu kämpfen, konzentriert sich
das Konkurrenzverhalten auf die Erfüllung kommerzieller Produktions- und
Marketingerfordernisse.
Nun werden die Pessimisten dagegenhalten, daß so etwas in unserer
Region, oder nur in Teilen davon, aus diesem oder jenem Grund unmöglich
ist. Ich kann aber mit Stolz darauf verweisen, daß es trotz des
Konflikts einige sehr erfolgreiche Unternehmen in unserer Region gibt.
Ihnen ist es gelungen, wettbewerbsfähige multinationale Unternehmen mit
Sitz in Israel zu gründen. Die Herausforderung besteht darin, einen
solchen Prozeß auch bei unseren Nachbarn zu sichern. Der Industriepark
in Tefen hat es geschafft, in einer Krisenregion zu überleben; nicht als
theoretisches Gebilde, sondern als rentables Praxismodell.
Wir überlegen zur Zeit, wie wir dieses System in Jordanien und bei den
Palästinensern - eventuell mit leichten Abänderungen - übernehmen
können. In Jordanien wurden bisher bessere Fortschritte erzielt, weil
das Land sich stark für die Erreichung dieser Zielsetzung engagiert. Die
Palästinenser sind momentan für diese Idee nicht so zugänglich, da ihr
Denken noch stark vom Konflikt beeinflußt wird. Aber mit der Zeit wird
auch das sich ändern.
Ich möchte Ihnen jetzt näher erläutern, was ich seit anderthalb
Jahrzehnten mache, denn ich glaube, daß es von großer Relevanz für das
Geschehen in unserer Region heute ist. Ich glaube auch, daß es für
unsere Zukunft wichtig ist - mehr dazu später. Der Industriepark Tefen
Diese Modellanlage wurde vor ca. 15 Jahren in Tefen im
nördlichen Israel errichtet. Es ist das Ergebnis vieler Jahre des "Trial
and Error", ein ständiges Streben nach Verbesserung und Veränderung.
Es ist nichts Kompliziertes.
Es ist nichts Theoretisches.
Es ist bereits Wirklichkeit, man kann es ansehen, greifen und erleben.
Ich persönlich habe vier Industrieparks in Israel
gebaut. Sie befinden sich in Tefen im westlichen Galiläa, im
nahegelegenen Lavon, in Tel Hai, im nördlichen Galiläa und in Omer in
der südlichen Negev-Region nahe Beer Sheva.
Der Tefen-Park, der neben unserem ISCAR-Projekt ins Leben gerufen wurde,
diente als Modell für die anderen. Seither sind in den Industrieparks in
Galiläa und Negev mehr als 120 Unternehmen gegründet worden, die mehr
als 3.000 Mitarbeiter beschäftigen. Der Umsatz übersteigt 500 Millionen
Dollar im Jahr.
Was sind die grundlegenden Elemente des Tefen-Modells?
Es gibt eine Reihe von einzelnen Faktoren, die
gemeinsam das Tefen-Modell so einmalig machen:
- Der Park erfüllt die Grundbedürfnisse junger
Unternehmen.
- Das Ambiente des Parks ist kreativitätsfördernd im
Hinblick auf Produktentwicklung, Produktion und Marketing.
- Die etablierten Unternehmen im Park dienen als
Modell für junge aufstrebende Firmen.
- Der Park befindet sich abseits vom traditionellen
Zentrum des Landes.
- Hier sind saubere, exportorientierte Industrien
angesiedelt.
Der Park vereint Elemente von Kunst, Kultur und
Ausbildung.
Wenn wir uns jetzt speziell Tefen ansehen, so beherbergt der Komplex ein
öffentliches Museum, das regelmäßige Kunstausstellungen veranstaltet und
über eine Reihe von Plastiken im Freien verfügt. Eine Kunstkomponente
ist in jedem der Parks vorgesehen oder bereits vorhanden. Dahinter
steckt der Gedanke, der Industrie ein neues Image zu geben - sie mit
Kunst und Erziehung zu verknüpfen. So haben wir eine Brücke geschlagen
zwischen unserer Vergangenheit und der Zukunft.
Die Tatsache, daß sich nur exportorientierte Industrien in diesen
Technologieparks ansiedeln, hängt mit der Geschichte der
Produktentwicklung in Israel ab, denn wenn israelische Unternehmen
wachsen wollten, mußten sie auf das Ausland schauen und mit den Besten
dort konkurrieren. Auch heute müssen israelische Unternehmen ihre
Geschäftsplanung stark am Ausland ausrichten. Die Exportorientiertheit
ist eine wichtige Bedingung für die Herstellung hochwertiger Güter. Ist
ein Produkt gut genug für den Export, dann ist es auch gut genug, um in
Israel mit den besten Importprodukten zu konkurrieren.
Der Lavon-Park
Der Lavon-Komplex, der sich ebenfalls in Galiläa
einige Kilometer südlich von Tefen befindet, ist der letzte
Industriepark, den ich gebaut habe. Hier diente auch das Tefen-Modell
als Grundlage, ergänzt durch den Campus des "Zur Institute for
Industrial Education", der vor einigen Jahren errichtet wurde.
Machon Zur
Diese Hochschule für industrielle Technik ist der
krönende Abschluß vieler Ausbildungsprogramme, die wir im Laufe der
Jahre gefördert haben. Das Zur-Institut bietet eine vierjährige
akademische Ausbildung im Bereich der industriellen Technologie:
Studenten können sich spezialisieren auf Robotertechnik, Automation und
Formgießerei. Die Studenten sollen mehr als nur trockene Theorie
erfahren. Im Laufe ihres Studiums lernen sie auch, wie sich
Grundkonzepte auf echte Probleme der industriellen Produktion auswirken.
Die Verbindung von traditionellem akademischen Unterricht mit
industriellen Anwendungen macht dieses Programm einzigartig.
Industrieparks in der Region
Ich führe zur Zeit Gespräche über den Bau von
Tefen-ähnlichen Parks in der Türkei, Jordanien und in den
palästinensischen Gebieten. Unser Modell, unsere Erfahrungen sind keine
magische Formel, die anderswo blind übernommen werden soll. Wir gehen
davon aus, daß diese Länder von unserer Erfahrung profitieren und die
Parks dann ihren eigenen Bedürfnissen anpassen.
Aufgrund der Fortschritte in den Friedensverhandlungen schlage ich vor,
daß Tefen-Modell als Brücke zwischen den Ländern unserer Region zu
nutzen. Ich sehe drei mögliche Standorte für "Friedensparks":
- das Rafiah-Gebiet in der Nähe des geplanten
palästinensischen Flughafens, als Brücke zwischen Israel, Ägypten und
dem Gaza-Streifen;
- an der israelisch-jordanischen Grenze, südlich des
Galiläischen Meeres;
- an der libanesischen Grenze, etwa 14 Kilometer
nördlich der Tefen-Region.
Ziele für die Region Mit dem Industriepark-Konzept
kann das Wirtschaftswachstum in der Region angekurbelt werden. Für das
Jahr 2010 wird in Israel ein Pro-Kopf-BIP von 30.000 US-Dollar pro Jahr
(kaufkraftbereinigt) angestrebt, ein deutlicher Anstieg gegenüber der
heutigen Vergleichszahl von ca. 16.400 US-Dollar. Die Statistiken
zeigen, daß in den Industrieparks der Umsatz pro Mitarbeiter doppelt so
hoch liegt wie der nationale Durchschnitt. So gesehen, leisten die
Industrieparks einen echten Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt.
Warum ist das Tefen-Modell von historischer
Bedeutung?
Das kleine Gebiet des heutigen Israel hat in relativ
kurzer Zeit sehr viele Veränderungen erlebt. Die jüngste Vergangenheit
dieser uralten Region ist von Konflikten geprägt und überschattet. Die
Welt betrachtet unsere Region als Schlachtfeld, wo Auseinandersetzungen
die Regel sind. Das Tefen-Modell hingegen erzählt eine Geschichte, die
nichts mit Konflikten zu tun hat. Es zeigt uns, was möglich ist, wenn
wir neue Regeln aufstellen und Konflikte begraben.
Beim Tefen-Modell geht es nicht um den Abbau von Bodenschätzen - es geht
um den Mehrwert, der durch die Herstellung neuer Ressourcen geschaffen
wird, indem man handfeste Produkte für den Export entwickelt und
herstellt.
Ich möchte nun einige Grundthemen aufgreifen, die die Geschichte unser
Region in diesem Jahrhundert beeinflußt haben, denn diese Themen
verdeutlichen, warum das Tefen-Modell heute und für die Zukunft relevant
ist.
1. Politischer und militärischer Hintergrund
1917 wurden die Türken von den Engländern geschlagen.
Die Zeit des britischen Mandats von 1917 bis 1948 stand im Zeichen von
Bürgeraufständen und Unruhen. Israel selbst hat seine Unabhängigkeit
überwiegend durch militärische Auseinandersetzungen mit den Nachbarn
erreicht. Die Geschichte des Konflikts bekam eine neue Dimension, als
Sadat Jerusalem besuchte und somit den Friedensprozeß einleitete. 1993
haben Rabin und Arafat sich die Hand gereicht. Dieser Prozeß ist zwar
durch allerlei Höhen und Tiefen gegangen, aber ich bin überzeugt, daß
wir innerhalb der nächsten zwei Jahre die Grundlage für Frieden mit den
Palästinensern schaffen werden. Die Errungenschaften des Wye-Abkommens
sind bedeutend, weil sie nach einer langen Zeit der Stagnation erneut
Fortschritt signalisieren.
2. Der wirtschaftliche Hintergrund
In den Jahren vor der Gründung Israels und auch danach
entwickelten sich die Länder der Region, die die Welt den "Nahen Osten"
nennt, eigenständig, aber dennoch beherrscht von Wirtschaftsinteressen.
Der entscheidende Faktor ist das Öl, auf das der Westen angewiesen ist
und das in riesigen Mengen in der Region östlich von Palästina/Israel
entdeckt wurde.
Die Wirtschafts- und die Energiepolitik verlief parallel zur
israelischen Politik der Jahre 1948 bis 1972. Im Jahr 1973 trafen beide
Wege dramatisch und gewaltsam aufeinander, als die arabischen Staaten,
unterstützt durch die mächtige Waffe Öl, Israel militärisch angriffen.
Die Westmächte haben aus der Ölkrise 1973 ihre Lehren gezogen und in den
darauffolgenden Jahren Maßnahmen ergriffen, um ihre Abhängigkeit von
fossilen Brennstoffen zu verringern. Wenn es im Zusammenhang mit dem Öl
zu Konflikten kam, hat der Westen deutlich zu verstehen gegeben, daß er
keine Störung der Öllieferungen dulden würde.
3. Soziale und kulturelle Hintergründe
Die Türkei hat sich bereits vor Israel für eine
westliche Orientierung entschieden. Vor 75 Jahren, unter der Führung
Atatürks, hat die Türkei als säkulare Nation die Öffnung zum Westen
beschlossen. Weiter östlich gelegene Länder dagegen blieben religiös und
traditionell geprägt, woraus sich allmählich der Fundamentalismus von
heute entwickelte.
Warum dieser Geschichtsüberblick? Ich bin schließlich kein Historiker
und auch kein hochangesehener Gelehrter wie viele der heute Anwesenden.
Ich möchte nur einen Punkt ganz deutlich hervorheben:
Israel gehört nicht zum Nahen Osten. Israel zählt
nicht zu den ölproduzierenden Ländern und unterstützt nicht die Politik
des Fundamentalismus. Israel gehört zum Mittelmeerraum, und die Zukunft
des Mittelmeerbeckens liegt nicht im Öl begründet, sondern in der
Entwicklung von funktionierenden Wirtschaftssystemen und
Exportindustrien, die die Grundlage für Frieden und Stabilität im
gesamten Mittelmeerraum bilden werden.
Weil Israel weder Öl noch andere nennenswerte
Bodenschätze besaß, war es gezwungen, Fähigkeiten zu entwickeln, die den
Humanfaktor als Wachstumsmotor stärker berücksichtigten. Und die
menschliche Arbeitskraft wurde nicht vorwiegend in arbeitsintensiven
Industrien eingesetzt, sondern in technologischen Industrien, die einen
hohen Mehrwert erzeugten. Rückblickend auf die letzten fünfzig Jahre
könnte man sagen, daß der Mangel an Bodenschätzen in Israel der
Katalysator für die Entwicklung alternativer Quellen des
Wirtschaftswachstums war. Das Wesen der wirtschaftlichen Entwicklung in
Israel
Wenn man die wirtschaftliche Entwicklung in Regionen
wie Ostasien oder Lateinamerika mit Israel vergleicht, ist
festzustellen, daß es in den ersten beiden Fällen vorwiegend
multinationale Unternehmen waren, die sich dort mit ihren in den eigenen
Forschungslabors in den USA oder Europa entwickelten Technologien
niederließen. In vielen Fällen wählten sie diese Region wegen des
Billiglohn-Vorteils bzw. wegen der Nähe zu großen Märkten. Solche
Unternehmen sind ständig auf der Suche nach neuen, noch
kostengünstigeren Standorten. Technologie und Produktentwicklung kamen
nicht von innen heraus, sondern wurden von außen geliefert. Solche
Investitionen schaffen zwar Arbeitsplätze, aber sie erzeugen weder Stolz
noch motivieren sie zur Weiterentwicklung der Produkte.
In Israel war die Erfahung eine andere. In den ersten Jahren nach
Gründung des neuen Staates war Israel kein attraktiver Standort für
Niederlassungen von multinationalen Unternehmen; zum einen aus
politischen Erwägungen und zum anderen weil Israel nur einen kleinen und
isolierten Markt in der Region darstellte. Als direktes Ergebnis davon
entwickelten einheimische Unternehmer und nicht ausländische Anleger
neue Produkte - zunächst für den lokalen Markt und später für den
Exportmarkt. Die Technologie für diese Produkte wurde hier in Israel
entwickelt. Beispiele für Firmen dieser Art sind Iscar, Blades
Technology, Elbit, Scitex, Teva, Orbotech und Netafim - um nur einige zu
nennen. Jedes dieser Unternehmen ist ein Zentrum für hausgemachte
Technologie im jeweiligen Bereich. Da es sich um selbstentwickelte
Technologien handelt, identifizieren sich die Mitarbeiter stärker mit
ihren Produkten, und diese Identifikation verleiht dem Produkt ein
zusätzliches Element im Konkurrenzkampf. Da die Technologien intern
entwickelt wurden, können die Produkte auch kurzfristig an eine neue
Marktlage angepasst werden. Ein solches Industrieunternehmen ist
flexibel und unabhängig, und das ist genau der Unternehmenstyp, der
gefördert werden sollte.
Das Wachstum im Mittelmeerraum Schaut man sich die
gegenwärtigen BIP-Zahlen der Mittelmeerländer an, stellt man fest, daß
Israel bereits solche Länder wie Griechenland, Portugal und Spanien
überholt hat. Das ist schon eine beachtliche Leistung, aber wir können
noch viel mehr.
Noch auffälliger ist das deutliche Ungleichgewicht gegenüber unseren
unmittelbaren Nachbarn. Die Zahlen für die Türkei, Jordanien, Syrien und
den Libanon liegen weit hinter den israelischen Vergleichszahlen. Mit
einiger Anstrengung werden sich diese Länder in Zukunft in einem
konfliktfreien Umfeld entwickeln können. Anhand der Zahlen können wir
den Preis erkennen, den die Länder für die Verstrickung in Konflikte
zahlen müssen. Zu diesen Ländern zählen:
Slowenien, Kroatien, Bosnien: Das Bruttoinlandsprodukt Sloweniens ist
viel höher als das von Kroatien, da Slowenien es geschafft hat, sich
nicht an den Kämpfen zu beteiligen, in die die anderen jugoslawischen
Staaten verwickelt wurden. In Bosnien-Herzegowina, wo der Konflikt am
schlimmsten wütete, liegt der Pro-Kopf-BIP bei weniger als 1.000
US-Dollar.
Libanon: Auch hier ist die BIP-Zahl von 3.400 US-Dollar (weniger als in
Jordanien bzw. Syrien) das Ergebnis des jahrelangen Bürgerkrieges.
Eine verbesserte Lebensqualität mit höherer Beschäftigung für alle wird
dazu beitragen, die Konflikte zwischen religiösen und weltlichen
jüdischen Gruppierungen, zwischen den jüdischen und arabischen Bewohnern
Israels und zwischen Israel und seinen Nachbarn zu beseitigen. Das
Problem der Wasserknappheit kann durch Wasserzukäufe aus der Türkei
gelöst werden, wo es Wasser im Überfluß gibt. Die Türkei und Israel
haben bereits verschiedene Kooperationsabkommen in bezug auf Ausbildung
und Hightech-Produktion abgeschlossen.
Ich meine, die Zeit ist reif für eine Renaissance, ein Wiederaufleben
des Mittelmeerraums, das die Kräfte aller Anrainerstaaten bündelt. Diese
historische Veränderung wird den Schwerpunkt von der traditionellen
Basis im Norden Europas in den Süden verlagern, der seinen Platz in der
Geschichte zurückerobern wird.
Die östlichen Mittelmeerländer können sich zu einem "normalen"
produktiven Gebiet entwickeln. Die Zeit und die Ressourcen, die wir für
unsere Konflikte aufgewandt haben, müssen nun wieder für gewinnbringende
Projekte genutzt werden. Offensichtlich hängt der Erfolg des Programms
vom Frieden und der Sicherheit ab.
Den Ländern der Region muß bewußt werden, daß der
wahre "Gegner" nicht der Nachbar, sondern der Wettbewerb auf den
Weltmärkten ist. Das Schlüsselwort ist Kreativität. Ob es Isreal und
seinen Nachbarländern gelingt, die Volkswirtschaften zu stärken und
Sicherheit zu erreichen, wird unmittelbar davon abhängen, ob sie es
schaffen, Unternehmergeist, Unternehmertum und Innovation zu entwickeln
sowie dringend benötigte hochwertige Waren und Dienstleistungen zu
erzeugen. Menschen, die im Sinne wirtschaftlicher Freiheit erzogen
werden, sind eher in der Lage, ein Sozialgefüge, eine industrielle
Infrastruktur und ein System der Arbeitsethik auf der Grundlage von
Selbständigkeit aufzubauen.
Wir begehen in diesem Jahr unseren 50. Jahrestag und hoffen, daß Israel
und seine Nachbarländer im Mittelmeerraum im nächsten halben Jahrhundert
seine Ressourcen gut anlegen und die Segnungen des Friedens erleben
wird.
Wir waren Pioniere auf der Suche nach einem Weg, der uns dorthin führt.
Wir haben unsere Fehler gemacht und Verbesserungen eingeführt. Das
Tefen-Experiment konzentriert sich auf Lösungen, nicht auf Probleme.
Jetzt ist es an der Zeit, unsere Erfahrungen mit allen zu teilen, die
daraus lernen wollen.
11. Sinclair-Haus-Gespräch
5. - 8. Dezember 1998
hagalil.com 15-12-02 |