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Eine Mehrheit für Gewalt:
Warum Israel Scharon wählen wird
Von Thorsten Schmitz
In diesem Jahr wird
es in Israel zu Silvester so viele Partys wie nie geben. Seit Wochen
überbieten sich Zeitungen und Zeitschriften mit Tipps für die coolsten
Feste. In denselben Blättern stehen Anleitungen für das Aufsetzen von
Gasmasken, Hinweise, wo man Masken für Hunde und Katzen erhält, und
Artikel über mögliche Nebenwirkungen einer Pocken-Impfung. In Israel
sieht man eher gelassen einem Krieg der USA gegen den Irak entgegen, der
einen Vergeltungsschlag Bagdads auf Israels Mittelmeerküste nach sich
ziehen könnte.
Dass 2003 nicht mit dem
Ende der Intifada beginnt, sondern mit einem zusätzlichen Krieg vor der
Haustür, ist allgemeine Überzeugung in Israel. Nur über die Art und
Weise, wie das Land involviert sein wird, herrscht Dissens. Der
Spitzenkandidat der Arbeitspartei, Amram Mitzna, wirft Premier Ariel
Scharon Panikmache vor. Tatsächlich malt Scharon ein düsteres Bild. Irak
habe chemisch-biologische Waffen nach Syrien geschmuggelt, um von dort
aus Israel anzugreifen, lässt der Premier wissen. Will er so schon jetzt
einen Angriff Israels auf Syrien und dessen Stellvertreter im Libanon,
die Hisbollah, legitimieren, falls die USA Bagdad bombardieren?
Mitzna wirft Scharon vor, Angst und Krisenszenarien zu schüren, um vom
Korruptionsskandal in dessen Likud-Partei abzulenken. Der Skandal um
gekaufte Listenplätze für die künftige Likud-Fraktion im Parlament hat
der national- konservativen Partei schon geschadet. Statt bis zu 45
Abgeordnetenplätze werde der Likud nurmehr 30 bis 35 erzielen, heißt es
in Umfragen.
Rechtsruck in der
Gesellschaft
Dennoch steht fest: Der
neue Regierungschef Israels wird der alte sein, Ariel Scharon. Obwohl
ihn die Arbeitspartei im Oktober verlassen und damit letztlich die
Neuwahlen ausgelöst hat, wird Scharon Mitzna nach seinem Wahlsieg am
28.Januar das Mitregieren anbieten. Doch die Plattformen beider Parteien
stehen sich diametral gegenüber. Mitzna will umgehend Verhandlungen mit
den Palästinensern aufnehmen, Scharon pocht noch immer auf ein Ende der
Gewalt und die Ablösung von Palästinenserpräsident Jassir Arafat.
Obwohl es Scharon in seiner Amtszeit nicht gelungen ist, seine
Wahlversprechen von Ruhe und Sicherheit einzulösen, wird er von einer
Mehrheit der Israelis favorisiert. Scharons Wiederbesetzungen
palästinensischer Autonomiezonen, die palästinensischen Terror
anstacheln, haben zu einem Rechtsruck in der Gesellschaft geführt.
Scharon ist in Israel das Kunststück gelungen, seinen schlechten Ruf als
Zwietracht säender Politiker loszuwerden. Er gilt nun als einer, der die
Gesellschaft eint im Kampf gegen den Terror. Inzwischen glaubt eine
Mehrheit der Israelis, dass nur Gewalt die Palästinenser zur Räson
bringen werde. Diese Stimmung könnte Scharon nutzen, um im Schatten
eines Irak-Krieges Palästinenser-Präsident Arafat ins Zwangsexil
deportieren zu lassen. In rechten politischen Kreisen hegt man die
Vorstellung, der Irak-Krieg könne die Intifada beenden helfen. Die Welt
würde ihre Aufmerksamkeit dem Irak widmen, während Israel still und
leise eine neue palästinensische Führung installiere.
Unsere schlimme Lage ist unser wahrer Zustand:
Die Tiefen des Jüdischen Bewusstseins
Vielleicht liegt Israels schlimme Lage am Ende gar nicht
nur an äußeren und damit wenigstens theoretisch lösbaren Problemen,
sondern an der inneren Disposition des Volkes...
Links denken, rechts wählen:
Lehren aus der blutigen Statistik
Warum
sind die Israelis auf lange Sicht gesehen Tauben, auf kurze Sicht jedoch
Falken? Und warum möchten sie Ariel Sharon als Premierminister, obwohl
sie glauben, dass die Siedlungen in den Territorien evakuiert werden
sollten?
Wahlstrategien in Israel:
Wie man Sharon helfen kann
Wenn man Sharon helfen will, an der Macht zu bleiben
dann gibt es hier ein paar nützliche Ratschläge...
Der Staat Israel wird katastrophal regiert:
Tief in der Patsche
Anstatt die klügsten, gebildetsten und
professionellsten Leute ins israelische Parlament zu holen, setzt man
uns eine Ansammlung bizarrer Typen vor...
Nicht nur Likud und Awodah stehen zur Wahl:
Die kleineren Parteien als Alternative?
Ob das vernichtende Urteil der Öffentlichkeit über die
beiden großen Parteien lange Bestand haben wird, ist zu bezweifeln...
Wie wird die Kneseth im Januar aussehen?
Prognosen zur Wahl
Laut einer Umfrage des Instituts Dachaf
(Leiterin Mina Zemach), im Auftrag der Tageszeitung Jedioth achronoth
gingen die Stimmen für den regierenden Likud auf 33 Mandate zurück...
Schon
im Vorfeld:
Vorwürfe im Likud
Bei der Aufstellung der
Kandidaten für die Parlamentswahlen soll es in Israels Regierungspartei
zu Korruption und Bestechung gekommen sein...
"Chaos",
"Basar", "Karneval":
Tumulte bei den Vorwahlen im Likud
Aus dem Misserfolg Sharons, seine Leute in die
Parteispitze hineinzumanövrieren, resultiert die Befürchtung, dass die
Partei durch das Vordringen der Netanyahu-Anhänger ein rechtsradikales
Image bekommt...
Die Parteichefs nach links:
Die
Basis nach rechts
Der Likud unter Sharon kann sich als
Netanyahus Likud entpuppen, und die Arbeitspartei unter Mitzna kann sich
zu einer militanten Partei à la Fuad mausern...
Ansichten aus Israel:
Abraham zwischen den Welten
[Buch
/
CD]
hagalil.com / 29-12-02
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