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Die "Villa Aurora":
Weimar an der Westküste

Lion und Marta Feuchtwangers kalifornisches Emigranten-Domizil ist heute eine Begegnungsstätte für junge Künstler aller Disziplinen.

Von Tanja Dückers

"Ein wahres Schloß am Meer", nannte Thomas Mann die Villa der Feuchtwangers, die von 1943 an als Treffpunkt der deutschen Emigranten und ihrer amerikanischen Kollegen fungierte. Hoch in den Hügeln von Santa Monica liegt das Anwesen mit dem verheißungsvollen Namen "Villa Aurora" - mit 22 Räumen, Bibliothek, Orgelzimmer, einem mit Azulejo-Mosaiken versehenen Innenhof und einer weitläufigen Terrasse mit Blick über die Landzunge Palos Verdes bis hin zur Pazifikinsel Santa Catalina.

1927 im spanischen Kolonialstil erbaut, war die nach der römischen Göttin der Morgenröte benannte Villa von jeher etwas Besonderes. Als "Los Angeles Times Demonstration House" fungierte sie als Musterhaus zeitgenössischen High-Tech-Wohnens. Ende der zwanziger Jahre schon ausgestattet mit elektrischer Garagenöffnung, Kühlschrank, Geschirrspüler, integrierter Orgel im Wohnbereich und einer aufsehenerregenden futuristischen Maschine, mit der sowohl Eier geschlagen als auch Silberlöffel poliert werden konnten. Woche für Woche berichtete die "Los Angeles Times" über die Fortschritte am Bau. Die Villa war schon lange vor Feuchtwangers Kauf im Fokus der Medien, Stadtplaner und Architekten und der aufmerksamen Öffentlichkeit von Los Angeles.

Heute ist Pacific Palisades, der Stadtteil, in dem die "Villa Aurora" liegt, längst einer der prominentesten Bezirke von L.A. Steven Spielberg lebt neben vielen anderen Stars hier, Beverly Hills und Bel Air sind Nachbarviertel. Doch als die Feuchtwangers das Gebäude am Paseo Miramar, wie die gewundene Straße vom Sunset Boulevard hoch in die Santa Monica Mountains heißt, begutachteten, standen erst neun Häuser an den Serpentinen. Aus Angst vor einer japanischen Invasion an der Küste zog es nur wenige Amerikaner dorthin. Lion und Marta Feuchtwanger konnten das Haus (das Peggy Guggenheim und Katja Mann bereits abgelehnt hatten) für 9000 Dollar kaufen. Der heutige Wert wird auf 50 Millionen Dollar geschätzt.

Vor ihrem Einzug in das palmenumrankte, palastähnliche Anwesen durchlebten die Feuchtwangers schlimme Zeiten: Propagandaminister Goebbels hatte Lion Feuchtwanger zu den "ärgsten Feind des deutschen Volkes" gezählt, seine Werke, 1929 noch in der engeren Wahl für den Nobelpreis, waren den Bücherverbrennungen zum Opfer gefallen. Aus dem nationalsozialistischen Deutschland der dreißiger Jahre flohen Lion und Marta nach Sanary-sur-Mer, einem Idyll an der Côte d'Azur, wo ihnen sieben Jahre Asyl gewährt wurde.

Während der deutschen Besatzung Frankreichs wurden sie jedoch von den französischen Behörden mit weiteren 3000 politischen Flüchtlingen in der ehemaligen Ziegelei Les Milles inhaftiert. Die Angst vor den heranrückenden deutschen Truppen erreichte im Lager, in dem auf verlausten Strohmatten geschlafen und zur Reduzierung sexueller Bedürfnisse Brom unter das Essen gemischt wurde, ein kaum erträgliches Maß. 1940 war Lion Feuchtwanger schon 56 Jahre alt. Auf abenteuerlichem Weg, in Frauenkleidern aus dem Lager geschmuggelt und zu Fuß über die Pyrenäen, konnte er schließlich mit Eleonore Roosevelts Hilfe von Lissabon aus über den Atlantik fliehen.

Los Angeles besaß damals als "Welthauptstadt des Films" für viele Emigranten große Anziehungskraft. Einige Schriftsteller, auch Feuchtwanger, versuchten sich im Verfassen von Drehbüchern, einer Aufgabe, an der so mancher scheiterte, die aber immer noch attraktiver war als die, die oft den deutschen Schauspielern zufiel: das Spielen von Nazifiguren in US-Propagandafilmen.

Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel, Alfred Döblin, Ludwig Marcuse, Bruno Frank, Hanns Eisler, Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Kurt Weill, Albert Einstein, Theodor Adorno, Arnold Schönberg, Charlie Chaplin, Aldous Huxley - Künstler und Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen kamen in der "Villa Aurora" zusammen, um zu diskutieren, vorzulesen, zu musizieren, zu streiten. Manche sprachen vom "Weimar an der Westküste", andere von "New Weimar". Feuchtwangers pazifisches Domizil wurde zu einer der wichtigsten Begegnungsstätten deutscher und amerikanischer Kultur im 20. Jahrhundert.

Als Marta Feuchtwanger 1987 starb (sie überlebte Lion Feuchtwanger um 29 Jahre), bestand Grund zur Sorge, daß die "Villa Aurora" ein ähnliches Schicksal ereilen könnte. Zur Rettung des baufällig gewordenen Hauses begründete der Journalist und Feuchtwanger-Biograph Volker Skierka eine Initiative, die von zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie von den Medien unterstützt wurde. Der damalige Rowohlt-Verleger Michael Naumann sowie Fritz J. Raddatz, die - wie auch Freimut Duve - zu den ersten Unterstützern dieses Projekts gehörten, brachten das Ziel der Initiative auf die Formel, mit der "Villa Aurora" eine Art "Villa Massimo am Pazifik", ein deutsch-amerikanisches Kulturzentrum, zu gründen. In Berlin machte sich die Pressestiftung des "Tagesspiegels" diese Ziele ebenfalls zu eigen, und 1988 vereinigten sich beide Initiativen zum "Kreis der Freunde und Förderer der Villa Aurora e.V." (mit Sitz in Berlin). In Los Angeles entstand die "Foundation for European-American Relations". Unter dem Vorsitz des Rechtsanwalts Lothar Poll und seiner Nachfolgerin, der Journalistin Marianne Heuwagen, konnte der Verein 1990 mit Hilfe der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin und des Auswärtigen Amtes der Erbin des Feuchtwanger-Vermögens, der University of Southern California, die "Villa Aurora" abkaufen.

Restauriert in ihrer ursprünglichen Gestalt, steht sie heute unter Denkmalschutz. Aus der umfangreichen Bibliothek (Feuchtwangers dritte, die erste fiel in Berlin den Nazis zum Opfer, die zweite in Frankreich ging nach Inhaftierung und Flucht verloren) verblieben 22 000 Bände in der Villa. Die restlichen besonders wertvollen Bände bilden in der University of Southern California die Lion-Feuchtwanger-Memorial-Library. Seit nunmehr zehn Jahren führt die "Villa Aurora" ein Stipendiatenprogramm durch, mit dem Schwerpunkt, Künstler unterschiedlicher Disziplin unter einem Dach zu beherbergen. Der Fotograf Thomas Florschütz, der Komponist Volker Staub, die Schriftsteller Durs Grünbein und Irina Liebmann oder die Filmregisseurin Petra Haffter waren hier zu Gast. Heiner Müller verbrachte auf Einladung der Getty Foundation einige Monate in der Villa, wo er "Germania 3" schrieb.

Tatsächlich scheint vom interdisziplinären Geist der Villa noch einiges mitzuschwingen: Während meines eigenen Aufenthaltes trafen sich Judaisten, Historiker und Verleger regelmäßig zu "German Film Nights", um die Verfilmung von Feuchtwangers Roman "Die Geschwister Oppermann", die stark autobiographische Züge tragende Beschreibung der zunehmenden Diskriminierung der Juden in Nazideutschland, anzusehen.

Neben den jeweils auf drei Monate beschränkten Stipendien für deutsche Schriftsteller vergibt die "Villa Aurora" jährlich ein bis zu zehnmonatiges Aufenthaltsstipendium für einen verfolgten Autor. Mit dem "Writer-in-Exile"-Programm soll die Erinnerung an jene Zeiten aufrechterhalten werden, als viele Exilierte in Los Angeles Zuflucht fanden. In den USA jedoch heißt dieses Programm nicht "Writer in Exile", sondern "Feuchtwanger Fellowship". Mechthild Borries-Knopp, die Leiterin des Vereins der "Villa Aurora" in Berlin, erklärt, daß diese Maßnahme nötig sei, "damit gegenüber der US-Regierung kein Verdacht entsteht, daß wir hier Exilanten einschleusen, die dann nicht mehr zurück in ihr Land gehen. Hier liegt tatsächlich ein Problem, weil manche so akut verfolgt sind, daß sie danach Asyl beantragen müßten".

Im Fall von Pierre Mumbere Mujomba ist es dem Verein der Villa gelungen, an einer US-Universität ein Follow-Up Fellowship zu bekommen. Nach Ablauf von zwei Jahren beantragt der kongolesische Schriftsteller jetzt tatsächlich Asyl, aber das geht, wie Borries-Knopp sagt, "natürlich nicht immer so glatt". Kunle Ajibade kam, als er nach Nigeria zurückging, erst einmal ins Gefängnis, die pakistanische Theaterregisseurin, -autorin und Amnesty-International-Aktivistin Shahid Nadeem lebt seit ihrer Rückkehr in ihr Heimatland, wie Borries-Knopp vermutet, "wohl ziemlich im Untergrund".

Die Veranstaltungen in der Villa wie auch das Stipendiatenprogramm werden zunehmend mit Hilfe von Sponsoren finanziert. Die Jahre nach 1998, als die Unterstützung durch die Deutsche Klassenlotterie wegfiel, bezeichnet Joachim Bernauer, ehemaliger Direktor der Villa Aurora, als "schwierige Transitionsphase". Weil Kalifornien topographisch einen "themepark of risks" darstellt, mit Erdbeben-, Feuer-, Erdrutsch- und Überflutungsgefahr, ist die Versicherung für die Residenz viel teurer als hierzulande vorstellbar.

Doch seit Beginn diesen Jahres hat sich die schwierige finanzielle Situation entscheidend verbessert: Das Auswärtige Amt verpflichtete sich, für den Erhalt des Anwesens aufzukommen. Vielleicht war der plötzliche Erdrutsch, der im letzten Jahr eine Nachbarvilla den Hang hinunter beförderte, dafür mitausschlaggebend. Auch lassen neue Konflikte zwischen "old Europe" und "new world" die Wichtigkeit des Erhalts der "Villa Aurora" außer Frage stehen.

Tanja Dückers (Jg. 1968) ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Im Jahr 2000 war sie Stipendiatin der "Villa Aurora".

IN / 02-12-05 hagalil.com / 08-01-06


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