Von Judith Reifen-Ronen
"Die eigentliche Grundlage der illegalen Einwanderung ist die
Tatsache, dass sie den innersten Bedürfnissen der jüdischen Existenz
entspringt. Die Grunderkenntnis des jüdischen Flüchtlings ist sein
unerschütterliches Anrecht, das keinerlei Genehmigung und keinerlei
Einwilligung von Seiten eines Außenstehenden bedarf, weder auf
politischer noch auf internationaler Ebene. Es ist der einschneidende
Beweis dafür, dass die Juden in der Tat beschlossen haben, ihr
Schicksal selbst in die Hand zu nehmen."
Auszug aus der Ansprache von Schaul Avigur, Chef des "Mossad" zur
Zeit der "Illegalen Einwanderungswelle" (Alija Bet) gehalten im
Februar 1949 (11. Adar 5709)
In der Nacht vom 1. zum 2. September des Jahres 1939 erreichten die "Frosula"-Flüchtlinge
an Bord der "Tiger Hill" die Küste von Tel Aviv. Am 2. September 2004 65 Jahre
später trafen sich etwa dreißig dieser Holocaust-Überlebenden im Tel
Aviver "Maxim"-Hotel, das in der
Jarkon-Straße der Stelle ihrer damaligen Ankunft in Israel genau gegenüber liegt, um der schwierigen
Odyssee zu gedenken, die sie vor dem Holocaust gerettet und in ein neues
Leben geführt hat.
Da saßen sie nun beisammen Männer und Frauen, die damals im
Jahr 1939 noch Kinder oder Teenager waren und die heute im Staat Israel leben, Angehörige der verschiedensten Berufe von der Fachkraft
zum Akademiker. Ein jeder von ihnen erzählt seine persönliche Geschichte, in zurückhaltener Form,
und mit ein wenig Humor gewürzt
im Versuch, das Drama der Fahrt
unter unerträglichen Umständen ein
wenig herunterzuspielen. Hier spürt
man echten Zionismus, den Stolz der
Zugehörigkeit zu einer Heimstätte,
einem Staat, sowie die Loyalität und
Dankbarkeit für die Existenz Israels.
Die Geschichte der Odyssee
der Holocaust-Überlebenden
aus der Tschechoslowakei,
die noch nie erzählt wurde
Die Geschichte der abenteuerlichen Fahrt der 658 Flüchtlinge aus
der Tschechoslowakei an Bord der
"Frosula" ist mit Ausnahme vereinzelter Erwähnungen mit teils
falschen Details - bisher unbekannt geblieben. Auch in den Berichten über
die "Tiger Hill" ist die Geschichte der
"Frosula"-Flüchtlinge nicht genau ermittelt worden. Das
bewegende Treffen der Teilnehmer an dieser Reise, die sich seither nicht wieder begegneten, wurde
initiiert, organisiert und moderiert
von Usi Werner, damals eines der
"Frosula"-Kinder und heute Mitglied des Präsidiums der
Organisation der Einwanderer aus Zentral-Europa (Irgun Olej Merkas Europa) und des
Verbandes der ehemaligen Tschechoslowaken, Hitachut Joze Tschechoslowakia.
Michal Katznelson, Präsidiumsvorsitzende der Organisation, und Natan
Steiner, der Vorsitzende der Vereinigung begrüßten die Anwesenden mit
bewegten Worten. Jeder der Anwesenden
berichtete kurz von seinen Erinnerungen an die lange Fahrt, aber die
hier wiedergegebenen Ausführungen beziehen sich größtenteils auf die niedergeschriebenen Memoiren der beiden "Frosula"-Flüchtlinge Bobbi
Fischel, damals ein Kind von 11 Jahren, und Tommi Kulka, damals 9
Jahre alt. Ihre Ausführungen verdienen es, als schriftliches Zeugnis dieser unbekannten Episode zu dienen.
Prag - 15. März 1939
Beim Einmarsch der deutschen
Armee in Prag am 15. März 1939
suchten die Juden Wege, aus der
Tschechoslowakei und Europa heraus zu kommen. Viele von ihnen
standen auf dem Wenzelsplatz, als
die deutschen Soldaten in Prag einmarschierten und hörten die
Schmährufen der tschechischen
Menge gegen die Deutschen. Doch
schon einen Tag nach der Besetzung
hörte man andere Stimmen - "Juden
raus!" - an die sich die damaligen
Kinder noch sehr gut erinnern können.
In Prag operierte in jenen Tagen
ein Büro mit dem Namen "Die
schwarze Rose", das gegen Bezahlung eine Gruppe zusammenstellte,
die mit einem illegalen Transport in
das damalige Palästina auswandern
sollte. Nach der Schilderung der
Teilnehmer an dem Treffen im "Maxim" bezahlten diese jungen
Leute
den Deutschen Bestechungsgelder,
um die Gruppe über die Grenze zu
bringen. "Ohne diese Leute, die das
organisierten und die Zahlungen
durchführten, wären wir heute nicht
hier", bekräftigten sie.
Wer in der Lage war, zu bezahlen
oder mit Hilfe von Verwandten das
Geld zu beschaffen, konnte sich der
Gruppe anschließen. Sie
bestand größtenteils aus tschechischen Juden,
von denen die meisten zur Intelligenz
gehörten und aus dem Mittelstand
oder gehobenen Mittelstand stammten. Es gab alle Altersgruppe
von wenige Monate alten Babies bis zu
Senioren von über 80.
Die Rettungsfahrt,
die 4 Monate und 2 Tage dauerte
Am Abend des 30. April begab
sich der Transport mit 658 Personen
in einem Sonderzug, der unter Aufsicht und in Begleitung von SS-Leuten vom Prager Hauptbahnhof
abfuhr, direkt zum Donau-Kai in Wien.
Dort wurden die Flüchtlinge auf zwei Flußdampfer verladen - die "Zar
Doschan" und die "Kralitza Maria" - die
den rumänischen Hafen Sulina
ansteuerten. Die Flüchtlinge durften Lebensmittel und Ausrüstung laut einer
von den Deutschen und den
Transport-Organisatoren aufgestellten Liste mitnehmen.
Nach 6 Tagen trafen die Flüchtlinge in Sulina ein, wo schon das
Frachtschiff "Frosula" auf sie
wartete, das für die Fahrt nach Palästina gechartert worden war. Im
Schiffsbauch waren ähnlich wie in einem Hühnerstall vier Holzverschlag-Etagen als Schlafgelegenheiten mit Trennwänden
und Schlafplätzen von je einem halben Meter Breite pro Person errichtet worden. Den
Flüchtlingen wurde erklärt, dass die
Reisebedingungen zwar unbequem seien, der Transport aber nur sieben
Tage dauern werde. Und die "Frosula" erreichte in der Tat schon nach
sechs Tagen die Küste von Haifa.
Von da an begannen die Irrfahrten
der "Frosula", die von den Briten
wieder auf hohe See verjagt wurde - wie es in der Bibel steht: "..denn nur
von Ferne wirst du das Land
schauen, aber nicht dorthin kommen". (Deut 32:52). Drei Monate lang
pendelte der Frachter zwischen den Häfen der Nachbarländer - Tripoli und
andere - hin und her, die sich allesamt weigerten, ihm die Einfahrt in
den Hafen zu gestatten. Die ganze Zeit
verfolgten die Briten, aus Flugzeugen und Schiffen beobachtend,
genau diese Odyssee.
Nach langem Bitten gestatteten die
Türken schließlich den Einkauf von
Lebensmitteln in der Stadt Mersin unter der Bedingung, dass die "Frosula" dann sofort wieder in See
stechen und Kurs nach Libanon nehmen wird. Die Lage der Flüchtlinge verschlechterte sich, die Versorgung
mit Lebensmitteln wurde immer knapper, viele Grundnahrungsmittel waren
aufgebraucht, und Wasser musste in Rationen zugeteilt werden. Waschen
und die Sorge für die minimalsten hygienischen Bedürfnisse in den
besonders heißen Monaten der Mittelmeerregion kam nicht in Frage.
Vom Hunger ganz abgesehen brachen auch noch verschiedene Krankheiten aus, wie Dysenterie
und "Papadatschi", deren Symptome bis zu 41 Grad hohes Fieber und totale
Erschöpfung sind. Die Erwachsenen litten mehr unter den harten Lebensbedingungen als die Kinder, denen ein
Matrose namens Vassili ein wenig
nahrhafteres Essen beschaffte. In das
Gedächtnis der Kinder hat sich dieser Vassili als ein besonderer Mensch
eingeprägt, der Kinder liebt, sie umsorgt und für sie Lebensmittel stibitzt.
Sie nannten ihn damals "Engel", und nennen so nennen sie ihn auch noch
heute.
Im Quarantänelager
in Beirut
Nach drei Hungermonaten auf hoher See, während derer viele der
Flüchtlinge infolge der schlechten hygienischen Zustände an Bord unter
Krankheiten und Schwäche litten,
erhielt die "Frosula" von den französischen Behörden in Beirut
die Genehmigung zur Ausschiffung im Hafen von Beirut. Dort wurden die
Flüchtlinge in ein Quarantänelager
überfuhrt, das sich hoch über der
Stadt auf einem Berg in einem Lager
für Mekka-Pilger befand. In diesem
Lager wurden die Flüchtlinge fünf
Wochen lang festgehalten. Die jüdische Gemeinde in Beirut nahm sich
ihrer an, versorgte sie mit Lebensmitteln und Medikamenten, Zuspruch und
Zuwendung, was den Flüchtlingen zur Erholung und Genesung verhalf. "Eine Dusche und
warmes Essen" waren für sie, wie sie
sagen, die wichtigsten Dinge.
Zwar befanden sich die Flüchtlinge während dieser "Quarantänezeit"
hinter Stacheldraht, aber die senegalesischen Wächter und die französischen Offiziere verhielten sich ihnen
gegenüber anständig. Die Teilnehmer
an dem Treffen im "Maxim"-Hotel
erinnerten sich in diesem Zusammenhang an ein Konzert im Lager
im Beisein des französischen Gouverneurs in Beirut, unter Stabführung
von Georg Singer, der auch Akkordeon spielte und dessen Frau Arien
sang.
Nach fünf Wochen erhielten sie
den Befehl, den Libanon zu verlassen. Der Frachter musste gereinigt und
wegen der vielen an Bord befindlichen Ratten desinfiziert werden, um einen erneuten Ausbruch
von weiteren Krankheiten und Epidemien zu verhindern. Demzufolge
lagen dort tote Ratten herum, und
ein scharfer Lysolgeruch hing in der
Luft. In dieser Phase weigerten sich der
griechische Kapitän der "Frosula"
und die Mannschaft, von Beirut in
das damalige Palästina weiterzufahren, obwohl das Geld für die Überfahrt voll bezahlt worden war.
Bei stürmischer See wechseln
die Flüchtlinge von der
Frosula" an Bord der
"Tiger Hill" über
Zu eben dieser Zeit war die "Tiger Hill", die vom "Mossad" zum Zweck
des Transports von Flüchtlingen aus
Europa gechartert wurde, unterwegs
nach Tel Aviv. Sie erhielt Anweisung,
sofort Beirut anzusteuern und die
Flüchtlinge der "Frosula" an Bord zu
nehmen.
Katriel Jaffe übernahm das Kommando über die "Tiger Hill", nachdem sich der ausländische Kapitän
des Schiffes geweigert hatte, die
"Frosula"-Flüchtlinge an Bord zu
lassen.
Die beiden Schiffe, die "Frosula"
und die "Tiger Hill", trafen sich in
tiefer Nacht, und die Umschiffung
erfolgte wie bei einer regelrechten
Militäraktion auf hoher See: "Mitten in stürmischer Nacht, bei hohem
Seegang, wechselten wir in Ruderbooten mit Hilfe von Seilen und Strickleitern
von der "Frosula" zur "Tiger Hill"
hinüber..."
Die komplizierte Umschiffe
gelang, und die 658 "Frosula"-Flüchtlinge gesellten sich zu den
760-Flüchtlingen der "Tiger Hill" (über
100 Flüchtlinge wurden zuvor
an der Küste des damaligen Palästinas abgesetzt). Die "Tiger Hill" näherte
also mit etwa 1.400 illegalen Einwanderern nach Anweisungen der "Hagana"-Beauftragten einer menschenleeren Küste im Süden des Landes
-
der Küste der heutigen Stadt Aschdod.
Kurz vor Mitternacht erleuchteten
plötzlich die Scheinwerfer eines britischen Küstenwachbootes das Gelände. Die Briten, die das Schiff erspäht
hatten, forderten die Besatzung auf,
sich zu ergeben. Der Schiffskommandant Katriel Jaffe manövrierte gewandt und konnte entkommen.
Die
Küstenwache eröffnete das Feuer
und zwei der "Frosula"-Flüchtlinge
starben auf der Stelle: Dr. Robert
Schneider aus der Tschechoslowakei
und Zwi Bider, ein Mitglied der "He-Chalutz"-Bewegung aus Polen. 14
Personen wurden verletzt, und Jona
Schimschilewitz (23) erlag später ihren Verletzungen.
Diese Ereignisse versetzten die illegalen Einwanderer und besonders
die "Frosula"-Flüchtlinge in Verzweiflung.
An der Tel Aviver Küste an
Land
Wenige Monate nach Veröffentlichung des Weißbuches im Mai 1939
beschloss der "Mossad", mit einem Kraftakt die Macht der illegalen
Einwanderung zu demonstrieren. Laut
Befehl näherte sich die "Tiger Hill"
in großer Geschwindigkeit der Tel
Aviver Küste und lief gegenüber der
Gordon-Straße auf eine Klippe auf.
Die Einwohner Tel Avivs strömten
zum Strand und nahmen im Nu 400
der Flüchtlinge unter ihre Fittiche.
Die "Frosula"-Flüchtlinge warteten
an Bord des Schiffes und wurden gegen Morgen von den Briten (gemeinsam mit noch etwa 350 weiteren
Flüchtlingen) ins Übergangslager
Zrifin (Sarafand) gebracht Eine jüdische Wache geleitete sie durch die Ben Jehuda-,
Allenby und Alija-Straße über Givat Herzl und Abu Kabir nach Zrifin. Auf
der gesamten Wegstrecke jubelten ihnen die Einwohner zu. Die Strafe für das illegale
Betreten des Landes war eine zehntägige Haft in den Zelten von Zrifin.
Die "Tiger Hill" war eines der letzten Transportschiffe mit
illegalen Einwanderern, die das damalige Palästina vor Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs noch anlaufen konnte - mit den 658 "Frosula"-Flüchtlingen
aus der Tschechoslowakei an Bord. Damit war die Odyssee mit ihren
Torturen, die eigentlich 6 Tage dauern sollte, aber in Wirklichkeit vier
Monate und zwei Tage in Anspruch nahm, zu ihrem glücklichen Abschluss
gekommen.