Von Thomas Kunze
TEL AVIV - Ein Verrückter namens Blaumilch entweicht aus der Anstalt und beginnt in der wichtigsten Geschäftsstraße
von Tel Aviv, einen Kanal auszuschachten. Die komplette Innenstadt taumelt für Tage ins totale Verkehrschaos. Doch statt den Mann zu stoppen, unterstützt ihn die an sinnlose Projekte gewöhnte Stadtverwaltung begeistert. Der Schöpfer dieser und anderer berühmter Satiren, der Bestsellerautor Ephraim Kishon, wird am Montag (23.) 80 Jahre alt. Der Feier sieht der Humorist mit dem schneeweißen
Haupthaar allerdings eher beklommen entgegen:
"Die Zahl 80 hat für mich etwas Erschreckendes."
Mit der Geschichte vom "Blaumilchkanal" schaßte der 1924 in Budapest geborene Ephraim
Kishon in den 50er Jahren den literarischen Durchbruch in seiner Wahlheimat Israel. Seither hat er die
Lachmuskeln einer weltweiten Lesergemeinde strapaziert. Satiren wie "Die Kraftprobe" über die
Schrecken der Kindererziehung am Exempel seines
Söhnchen Amir bestechen durch ihre Mischung aus
Lebensnähe und Realabsurdem. Ideen schöpft er oft
aus dem prallen Leben; nicht nur die "beste Ehefrau von allen", Sara, und seine drei Kinder, sondern auch Freunde und Bekannte sind als Gestalten
in seinen Büchern verewigt. Der als eher konservativ
geltende Schriftsteller hat allgemeinmenschliche
Schwächen wie die Heuchelei um das Institut der
Ehe sowie die grassierende Bürokratie aufgespießt,
aber politische Themen meist vermieden.
Im Mai 1949 bestieg der junge Ferenc Hoffmann,
mit knapper Not den Vernichtungslagern der Nazis
und dem Gulak Stalins entgangen, ein Flüchtlingsschiff nach Israel. Kurz
zuvor hatte er sich den Namen Kishont zugelegt. Bei der Ankunft im Hafen
von Haifa stutzte der Beamte diesen auf Kishon.
Den Vornamen Ferenc ersetzte der Mann mit der lakonischen Bemerkung "Gibt es nicht" durch
Ephraim. Viele urkomische Vorfälle hat der Autor am
eigenen Leib erlebt, so etwa, als er einmal verspätet
bei einer Lesung eintraf und ihm der Türhüter auf
die Versicherung "Ich bin doch der Vortragende!"
kühl entgegnete: "Das kann ja jeder behaupten."
In "Gibt es einen typisch israelischen Humor?"
hat Kishon die Begebenheit auf unnachahmliche
Weise ausgeschmückt.
Der Schriftsteller arbeitet am liebsten in der
Abgeschiedenheit seines zweiten Wohnsitzes im
Schweizer Ort Appenzell. Er hat mehr als 50 Bücher geschrieben, die in 37 Sprachen übersetzt
wurden und weltweit in einer Auflage von 43 Millionen erschienen. Kishon hat Theaterstücke verfasst und Filme gedreht. Seinen Erfolg finde er
selbst rätselhaft, behauptet er nicht ohne Koketterie. "Ich glaube, jemand hat mich gern da oben",
fügt er hinzu. "Anderenfalls hätte ich diesen Tag
ja niemals erlebt."
Tatsächlich war nicht nur ein Wunder, sondern
eine ganze Kette von Wundern nötig, damit der
ungarisch-jüdische Junge den Holocaust überleben konnte. So half ihm beispielsweise seine
Schach-Begabung in einem Arbeitslager, weil der
Kommandant ebenfalls ein Faible für diesen Sport
hatte. Ein Großteil seiner Familie kam in den Gaskammern von Auschwitz um.
So empfindet es Ephraim Kishon als Ironie der
Geschichte, dass er gerade in Deutschland so beliebt ist. "Ich verspüre Genugtuung darüber, dass
die Enkel meiner Henker in meinen Lesungen
Schlange stehen", sagt der Träger des Bundesverdienstkreuzes. Den jungen Deutschen gegenüber
empfinde er aber keinen Hass, es gebe keine kollektive Schuld, sondern nur kollektive Schande. Mit
seinem Humor habe er zur Versöhnung beitragen
wollen.
Im Konflikt mit den Palästinensern vertritt Kishon, der sich selbst als Patriot bezeichnet einen
eher harten Standpunkt. Er sei aber sicher, dass "nach Arafat" Frieden
erreicht werden könne. Ihm schwebe ein friedliches Zusammenleben mit den
Palästinensern nach dem Vorbild der österreichisch-
ungarischen Monarchie vor.
Auf die Frage, warum er sich nicht endlich zur
Ruhe setze, hat Kishon einmal geantwortet, weil er
dann nichts mehr sei als ein alter verbitterter
Schriftsteller. Jetzt will er aber doch in Rente gehen,
sein Roman "Der Glückspilz" von 2003 soll sein letztes Buch in deutscher Sprache sein. Ein Jahr nach
dem Tod seiner Frau Sara 2002 hatte der Satiriker
die Österreicherin Lisa Witasek geheiratet.
"Ich bin ein Mensch, der 25 Jahre von links nach rechts geschrieben
hat und die nächsten 25 Jahre von rechts nach links", mokierte sich
Kishon einst über sich selbst und sein Erlernen der hebräischen Sprache.
Dabei habe er sogar neue Worte ins Neuhebräische eingebracht - etwa das
Wort "gamsen" für "tödlicher Angriff von hinterrücks" nach dem
Theaterkritiker Dr. Gamsu, der seine Theaterstücke regemläßig verriss.